Unser Archiv soll nicht allein die bisherige Vereinsarbeit des Deutsch-Japanischen Vereins Yawara Lippstadt e.V. darstellen, sondern vor allem die Gelegenheit bieten unseren Gästen, die oft weite Wege und große Mühen für uns auf sich genommen haben, noch einmal ein ganz besonders herzliches Danke schön zu sagen.
Ebenso bedanken wir uns recht herzlich bei den zahlreichen Organisationen, Einrichtungen und Vereinen, die durch ihre freundliche Unterstützung und die gute Zusammenarbeit, die Realisation unserer Projekte gelegentlich überhaupt erst ermöglichten und stets zum erfolgreichen Gelingen beitrugen.
Einen weiteren Dank möchten wir an unseren Vereinsgründer und Vorsitzenden, Stefan Großkreuz aussprechen, der am 01.12.2011 mit dem Deutsch-Japanischen Freundschaftspreis der Robert-Bosch-Stiftung ausgezeichnet wurde. Die Jury hob bei ihrer Entscheidung hervor, dass die vielseitigen und umfangreichen von ihm organisierten Veranstaltungen, wie z. B. Ausstellungen, Vorträge, Filmvorführungen, Sport- sowie Kreativangebote für Kinder und Jugendliche und nicht zuletzt die vereinseigenen Hilfsprojekte nach der Naturkatastrophe in Japan vom 11. März 2011, wesentlich dazu beigetragen haben das Interesse am jeweiligen Partnerland zu beleben. Die Urkunde als Preisträger durfte er in Berlin vom japanischen Botschafter, Dr. Takahiro Shinyo, entgegennehmen.
Die dankbare Schildkröte (kame no ongaeshi)
Vor vielen Jahren hatte einmal ein Beamter den Befehl erhalten, dienstlich ins Land Tô, das ist der alte Name für China, zu reisen. Kurz vor seiner Abfahrt wollte er in der Stadt Itoman etwas erledigen, und deshalb begab er sich in diesen Ort. Er kam an, und in der Nähe des Hafens fiel ihm auf, dass sich dort eine große Menschenmenge versammelt hatte. Die Leute drängten sich, sie schrieen durcheinander und lachten. Er wollte gerne wissen, was der Grund dieser Aufregung war, deshalb ging er näher, und bald konnte er sehen, dass auf der Mitte des Platzes, umgeben auf allen Seiten von Menschenmauern, eine riesengroße Seeschildkröte auf dem Boden lag. Der Beamte hatte noch nie in seinem Leben eine solch große Schildkröte gesehen, und nun wunderte er sich nicht mehr über den Auflauf. Der Fischer, der das Tier gefangen hatte, machte eben gerade Vorbereitungen, um das Tier zu schlachten.
„Die Seeschildkröte soll ein Bote vom Meeresdrachenpalast sein, so sagt man doch, und sie umzubringen ist nicht recht,“ fuhr es dem Beamten durch den Kopf. Er blickte mitleidig auf das arme Tier, dieses schaute eben gerade in seine Richtung, und Tränen liefen ihm aus den Augen. Er hatte sehr schnell den Eindruck, dass es ihn um Hilfe aus seiner Not bat.
Da sagte der Mann, ohne es eigentlich zu wollen, laut und deutlich: „Du Fischer, warte einmal!“ - „Ja Herr, was wünschst du denn?” - „Willst du mir nicht diese Seeschildkröte überlassen?” Der Fischer hatte nichts dagegen, der Beamte gab ihm all das Geld, das er bei sich trug und kaufte ihm die große Schildkröte ab. Dann sorgte er dafür, dass man sie ans Meer schaffte. Am Strand beugte sich der Mann nieder zu dem Tier und schob ihm seine eigene Haarnadel in den Panzer. Dazu sagte er: „Ich muss in den nächsten Tagen eine Dienstreise nach dem Lande Tô antreten. Heute helfe ich dir, darum hilf du mir auch, damit ich eine sichere Reise habe!” Nach diesen Worten entließ er die Seeschildkröte ins Wasser.
Kurze Zeit nach diesem Ereignis schiffte sich der Beamte nach China ein. Viele Tage lang war das Wetter freundlich, ein frischer Wind blähte die Segel und trieb das Fahrzeug seinem Ziel entgegen. Dann aber überzogen schwere Wolken den Himmel, ein gewaltiger Sturm brach aus, das Meer wurde wild, und die Wellen türmten sich haushoch. Das Schiff vermochte nicht lange, dieser Gewalt der Natur standzuhalten, und ehe man sich versah, zerbrach es in zwei Teile. Die Seeleute und die Reisenden an Bord wurden, bevor sie richtig verstanden, was geschehen war, in die tobende See geschleudert und dem Verderben preisgegeben. Auch der Beamte, der nach Tô sollte, trieb im Meer, und er hatte nicht die geringste Hoffnung, den Schiffsbruch zu über-leben. Die hohen Wellen schlugen über ihm zusammen, das Wasser zog ihn nach unten, dann kam er wieder an die Oberfläche, solange, bis ihn die folgende Welle angriff. So ging es manches Mal, die Kräfte, zu schwimmen, verließen ihn bald, und endlich schien die nächste Welle sein Schicksal zu werden. Sie erfasste ihn, und der müde Mann sank langsam aber sicher unter die Wasseroberfläche. Er wehrte sich nicht mehr und fand sich mit seinem Schicksal ab.
Er sank und sank, und da fühlte er auf einmal unter den Füßen etwas Hartes. Es war wie ein Felsen, und das unbekannte Ding drückte ihn langsam aber sicher hoch an die Wasserober-fläche. Und dann konnte er sehen, um was es sich handelte, es war eine sehr große Seeschild-kröte. Er klammerte sich an ihr fest, sie trug den Mann sicher über die hohen Wellenberge, mit Leichtigkeit überwand sie diese Hindernisse, die für Menschen nicht lange zu bewältigen sind. Allmählich beruhigte sich der schreckliche Sturm und das Meer wurde wieder ruhiger. Der Beamte blickte sich um, und nun sah er, dass neben der Seeschildkröte große Haifische schwammen. Es war, als ob sie ihr das Geleit geben würden.
„Diese Schildkröte will mich retten, anders kann ich es mir nicht vorstellen. Wer weiß, vielleicht ist es sogar die Seeschildkröte, der ich vor einiger Zeit ins Meer zurückgeholfen habe.“ Er betrachtete nun den Rückenschild des Tieres, immer wenn er sich aus dem Wasser hervorhob, ganz genau, und er konnte sehen, dass in der Tat dort seine Haarnadel steckte! Er dachte froh: „Dann ist es also wirklich meine alte Bekannte.“
Die Schildkröte durchschwamm, umgeben von den Haien, mit ihrem Schützling das Meer, wenn sie selber müde wurde, trugen die Haifische den Mann, und endlich erreichte sie Land. Der Beamte konnte an den Strand treten, er war gesund und unversehrt, er war gerettet. Voll Dankbarkeit nahm er Abschied von den Tieren, und diese verschwanden schnell wieder im tiefen Wasser. Der Mann ruhte sich aus, dann suchte er Menschen auf. Er war in China, im Lande Tô, gelandet. Nach einer Weile konnte der gerettete Beamte die Stadt, die er auf seiner Dienstreise aufsuchen sollte, erreichen und dort den Zweck der Reise erfüllen. Alles gelang zu seiner Zufriedenheit. Mit dem nächsten Schiff kehrte er in seine Heimat Ryûkyû zurück, dort rief er seine ganze Familie zusammen und erzählte von der Seeschildkröte und seinem Erlebnis. Und seither ist es in dieser Familie, der Familie Sai nämlich, zur Gewohnheit geworden, aus Dankbarkeit gegen die Schildkröte, niemals mehr Seeschildkröten zu fangen und ihr Fleisch zu verzehren.
Übersetzt von Frau Rotraud Saeki; erzählt in Naha-shi; aus: Okinawa no minwa, Prof. Endô, 1998, Erz. Nr. 115
Anm: Haarnadel: Kanzashi. In Okinawa trugen in früheren Zeiten sowohl Männer wie Frauen diese Haarpfeiler. An ihnen konnte man die gesellschaftliche Stellung des Trägers erkennen.